So, mein Lieblingsthema, haha!
Also erstmal möchte ich sagen: Wer ein Thema so einleitet wie du, der sollte auch nicht erwarten, unbedingt sachdienliche Kommentare zu bekommen, die Einleitung ist etwas wirr. Das Thema, welches du anschneidest, ist aber durchaus ein wichtiges. Und ich glaube, damit könnte man nicht nur abendliche Diskussionen füllen, sondern vermutlich eine ganze Themenwoche oder einen Themenmonat.
Ich möchte es nur mal kurz anreißen, aus meiner Sicht als "Ossi" (und ja, die Begriffe "Jammerossi" und "Besserwessi" sind vielleicht voll 1990, aber an beiden ist was dran).
1. Rechtsextremismus/Rassismus: Oft wird es so dargestellt, als sei der Osten ein Hort von Rassisten, Neonazis und rechten Schlägertrupps. Das ist nicht so. Ja, wir haben hier viele Ressentiments gegenüber Menschen anderer Herkunft, aber das ist kein alleiniges Ost-Problem. Die meisten Menschen, die ich hier im Osten kenne, kommen gut mit Ausländern aus, ...
2. ...die Radikalisierung erfolgt eher aus der
gesamtpolitischen Lage, viele Ostdeutsche sehen sich als "Bürger 2. Klasse", sodass rechtsextreme Bauernfänger dort leichtes Spiel haben. Die meisten Wähler der AfD sind nicht rechtsradikal oder rechtsextrem, sondern Protestwähler. Sie wissen aber sehr wohl, wen sie da wählen. Diese These unterstützt auch, dass in sozialschwachen Gebieten, wie z.B. dem Ruhrgebiet, die AfD oder rechte Populisten große Erfolge feiern konnten. Das Ruhrgebiet war eigentlich immer das Stammgebiet der Sozialdemokraten, im Osten war die Linke stark und bis etwa 2015 in jedem Landesparlament mit über 20% vertreten.
3. Ungerechtigkeiten: Die Ostdeutschen haben ein Gespür für Ungerechtigkeiten, vielleicht etwas mehr, als im Westen. Der Grund ist historisch bedingt: Fast 57 Jahre lang (1933-1989) lebten die Ostdeutschen in einer Diktatur. Die Westdeutschen "nur" 12 Jahre lang (1933-1945 bzw. 1949). Die Ostdeutschen hegen also ein historisch bedingtes Misstrauen in die politische Ordnung. Die Ungerechtigkeiten in der Wendezeit, in der die Ossis den Zusammenfall eines Systems erlebten, welches immerhin über 40 Jahre lang ihr Leben bestimmte, wurden also umso stärker wahrgenommen und wirken auch heute noch nach. Der
"Besserwessi"-Begriff (huhu
BellaDracula
) entstand in eben jener Zeit, in der westdeutsche Politiker, Wirtschaftsleute oder Normalbürger den Ostdeutschen das Leben erklären wollten.
Dadurch fühlten und fühlen sich viele Ostdeutsche auch 30 Jahre später nachwievor gedemütigt, immerhin waren sie es, die die SED gestürzt haben und 40 Jahre lang aus Stroh Gold gemacht haben, in den ostdeutschen Kombinaten von ihren westdeutschen Landsbrüdern brutal ausgebeutet wurden, auf westdeutschen Baustellen, in der Produktion für Siemens, AEG und Salamander. Eben nicht Kohl, der "Kanzler der Einheit", welcher den Ostdeutschen unhaltbare Versprechungen machte, um so seinen politischen Fortbestand zu sichern, brachte die Einheit. Es waren die Ostdeutschen selbst, die sich gegen die Arroganz und Diktatur der SED-Herrscher durchsetzten.
4. Der Osten sollte dem Westen dankbar sein. Das ist ein wichtiger Punkt, warum "Jammerossi" und "Besserwessi" eben immer noch aktuelle Begrifflichkeiten sind. Wenn ich mich in meinem Kreise der westdeutschen Bekannten so umhöre, dann wird fast jede Ost-West-Diskussion mit "ihr solltet uns dankbar sein, hört auf zu jammern" abgewürgt. Warum? Nicht nur die Propaganda des Ostblocks hat Spuren hinterlassen, sondern auch die BILD-Mentalität des Kalten Krieges, welcher noch viele Westdeutsche verhaftet sind. Immer noch sagen viele "drüben" zum Osten. Dabei ist das Wirtschaftswunder im Westen auch ein Produkt der ostdeutschen Flüchtlinge, denn es waren eben die Forscher, Wissenschaftler, Ärzte, Unternehmer und die Intellektuellen, die bis 1961, teils auch später, in den Westen geflohen sind. Die DDR erlitt bis 1961 einen extremen "Brain Drain", welcher zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR und in großen Teilen auch zum Aufschwung der BRD führte. Ja, wir Ossis sind jedem Wessi dankbar, der uns mit offenen Armen empfängt - nicht aber denjenigen, die uns in ihrer "Ich bin besser, jetzt halt die Fresse, du dummer Jammerossi!"-Mentalität gegenübertreten.
Heute stellt es sich für viele Ossis leider immer noch so dar, als wären sie Bürger 2. Klasse, als würde ihre Lebensleistung nicht anerkannt, als würden sie übergangen, als möchte man ihnen etwas vorschreiben, was sie so nicht akzeptieren wollen.
Wie gesagt, das Thema ist sehr kontrovers und ich könnte noch viele, viele Punkte schreiben. Das ist auch nur eine kleine Zusammenfassung von wenigen Punkten. Ich glaube, der Weg, den Ossis und Wessis gehen müssen, ist der gemeinsame. Dabei sollten sich beide Seiten von Ressentiments verabschieden. Zwischen Ost und West gibt es Unterschiede, und es ist nun an uns, die guten Seiten zu vereinen, damit wir vielleicht auch nach über 30 Jahren der politischen Einheit, dann zu einer gesamtheitlichen Einheit zusammenwachsen können.
Zum Abschluss habe ich hier noch einen kurzen, nicht einmal zweiminütigen Tagesschau-Kommentar von Oliver Köhr zur Frage, warum so viele Menschen im Osten AfD wählen.
https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-544909.html